Historie zur kieferorthopädischen Zahnextraktion

Schaut man sich die Geschichte der Kieferorthopädie an, so fällt auf, dass sich bezüglich der Indikation zur kieferorthopädischen Zahnextraktion das fachliche Meinungsbild mal zur einen und dann wieder zur anderen Seite wendet. Angle postulierte damals eine strikte Ablehnung der Zahnextraktionen, während darauffolgend Tweed und vor allem Begg eine kieferorthopädische Behandlung vornehmlich mit einer begleitenden Extraktionstherapie begründeten.

Die von Roth/Williams postulierten Standards der 80er Jahre sahen sehr wohl eine häufige Extraktionsrate vor. Das amerikanische Flat-Face stand im Vordergrund des Schönheitsideales.

Ricketts und Gugino oder gar Burstone erschienen seinerzeit mit ihrer Segmentbogentechnik oder two by four Apparatur in der „modernen“ Straight-wire-Bewegung als zu komplex und konnten sich deshalb nicht durchsetzen. Gleichzeitig wurde an den Hochschulen für die allgemeine Zahnheilkunde ein idealisiertes Okklusionskonzept (z. B. nach Peter K. Thomas and Payne) gelehrt. Mit einem überdehnten Kiefer war dies nicht zu erreichen.

In Deutschland wurden diese „Regeln zur Extraktionsindikation“ weitgehend von der amerikanischen Lehrmeinung, welche die Möglichkeiten der herausnehmbaren Zahnspangen nicht bedachte und vornehmlich mit der Anwendung festsitzender Apparaturen verbunden war, übernommen.

Demzufolge musste der von Herrmann aus Heidelberg stammenden Forderung, dass es wichtiger sei, das Gaumengewölbe auszuformen als auf idealisierte Zahnkontakte zu achten, als inakzeptabel gelten. Die zum Teil philosophisch anmutenden Thesen über Lymphfluss und elektromagnetische Schwingungen (siehe Bionator nach Balters) trugen mit dazu bei, dass sich bis zum Ende des letzten Jahrhunderts eine extraktionsfreie Kieferorthopädie nicht durchsetzen konnte. Eine generelle Ablehnung jeglicher kieferorthopädischer Extraktion war ein unhaltbarer Standpunkt.

Mit dem vermehrten Aufkommen der Erwachsenenorthodontie bekam dann die kieferorthopädisch indizierte Extraktion zum Ausgleich des fehlenden Alveolarknochens oder der zu schmalen Kieferbasen oder als Kompromiss zu einer eigentlich notwendigen kieferchirurgisch- kieferorthopädischen Behandlung einen richtigen Aufwind, der leider bis dato anhält. Selbst die mit invasiven Implantatverankerungsschrauben ausgestatten Minichirurgie-KFO-Praxen greifen auf Zahnextraktionen zurück. Es fragt sich dann, weshalb und wofür sie diese extremen Verankerungsmechanismen benötigen?

Die scheinbare Alternative, jetzt auch in der Erwachsenentherapie mit einer sich selbst regulierenden Apparatur (SL=der Mercedes unter den Brackets?) jedes Problem extraktionsfrei nur allzu einfach bewältigen zu können, hat sich doch recht bald bei den meisten Kollegen als Irrweg enttarnt. Zum einen musste dafür an die Industrie der Bracketmanufakturen ein sehr hoher Preis entrichtet werden. Zum anderen sind bestimmte Bewegungen (extreme Rotationen einzuligieren) doch nicht so leicht handhabbar, wie vom Hersteller versprochen und dann mit deutlichen Überbelastungen des Parodontium 5 verbunden. Überlässt der Kieferorthopäde den Patienten seinem selbstligierten Schicksal, bekommt er die in der herausnehmbaren Plattentherapie verteufelte Kieferüberdehnung als verschärftes Resultat und ohne Zugewinn an Knochenbasis zurück.

Patientenbesipiel: Distraktionsosteogenese mit Bandapparatur

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