Indizes & Einleitung zur Therapie der Dysgnathien

Invisalign-System, Frontzahnextraktion, Lippenprofil, Diastema mediale, offener Biss, vertikale Dysgnathie, Extrusion

Indizes: Bei guter Mitarbeit und richtiger Indikation sind mit dem Invisalign-System auch schwierigere dento alveoläre Fehlstellungen erfolgreich zu therapieren. Selbst komplizierte Zahnbewegungen wie Extru sionen werden möglich, wenn sinnvolle Attachments eingesetzt werden. Durch das Invisalign-System können sogar diejenigen Patienten zu einer kieferorthopädischen Therapie motiviert werden, die sich trotz Notwendigkeit sonst nicht zu einer Behandlung entschlossen hätten.

Einleitung: Auffällige orthodontische Behandlungsmittel hindern viele Erwachsene daran, sich für eine notwendige Zahnstellungskorrektur zu entscheiden. Umso wichtiger ist es, Methoden einzusetzen, die unauffällig sind, das heißt das äußere Erscheinungsbild des Patienten nicht verschlechtern. Mit dem Invisalign-System ist es möglich, Patienten mit dentoalveolären Fehlstellungen zu behandeln und trotzdem bestehende ästhetische Ansprüche zu befriedigen. Vorteilhaft ist weiterhin, dass die Aussprache während der Behandlung anders als bei der Lingualtechnik nicht oder kaum beeinträchtigt wird. Dabei ist die durchschnittliche Behandlungsdauer mit der einer festsitzenden Apparatur vergleichbar.

Erster Patientenbericht einer Dysgnathie Alignertherapie

Anamnese: Eine asiatische Patientin stellte sich erstmals im Alter von 31 Jahren in unserer Praxis vor und gab an, dass sie ihr Engstand in der Unterkieferfront und die Attritionen ihrer Oberkieferschneidezähne störten. Anamnestisch waren die Attritionen auf einen Bruxismus zurückzuführen.

Extraoraler Befund: Das flache Gesicht und die Tendenz zu einer mandibulären Prognathie mit zu weit vorstehender Unterlippe entsprachen einem mittelasiatischen Gesichtsprofil (Abb. 1a und b). Die Inzisallinie der Oberkieferfront verlief konkav zur Lachlinie, so dass das Lächeln der Patientin unharmonisch erschien (Abb. 1c).

Intraoraler Befund: Es lag ein vollständiges Gebiss mit einer mesialen Verzahnung von 1/4 Prämolarenbreite vor (Abb. 2a bis e). Die Frontzähne standen im Kopfbiss, und durch die transversale Enge im Oberkiefer war bei den Zähnen 18 und 48 ein Kreuzbiss zu erkennen. Die Unterkieferfrontzähne waren leicht staffelförmig angeordnet und gering protrudiert.

Abb. 1a bis c Frontal- und Profilfoto sowie Lippendetailaufnahme der Patientin bei Behandlungsbeginn: flaches Mittelgesicht mit stark betonter Unterlippe (a und b). Negative Lachlinie mit ungleichmäßigem Verlauf durch Attrition der Inzisalkanten, kopfbissartige Schneidezahnstellung (c).

Dysgnathie A

1.a

Dysgnathie B

1.b

Dysgnathie C

1.c

Dysgnathie Röntgenbefund, Behandlungsplan und Therapieverlauf

Röntgenbefund: In der Panoramaschichtaufnahme (Röntgendiagnostik) fehlten die Weisheitszähne 28 und 38 (Abb. 3). Das Fernröntgenseitenbild (FRS) zeigte eine bimaxilläre Protrusion mit mesiobasaler Lage des Unterkiefers bei brachyfazialem Gesichtsschädelaufbau (Abb. 4). Durch die bimaxilläre Protrusion der Frontzähne war auch das Lippenprofil protrusiv.

Behandlungsplan: Angestrebt wurden eine Extrusion der oberen Frontzähne, eine Überstellung des Zahnes 18 und eine Extraktion des Zahnes 41 mit nachfolgender Retrusion der unteren Frontzähne sowie Aufrichtung der Zähne 31 und 42. Durch die Extrusion der Oberkieferschneidezähne sollten sowohl der frontale Überbiss als auch die negative Lachlinie verbessert werden. Abschließend war geplant, die attritiven Schmelzverluste durch Kompositaufbauten zu kompensieren.

Therapieverlauf: Die erforderlichen Silikonabformungen erfolgten schon vor der Extraktion des Zahnes 41. Nach Lieferung der Aligner wurde dieser Zahn extrahiert und 2 Tage später die erste Korrekturschiene eingesetzt. Insgesamt waren 26 Aligner im Oberkiefer und 28 im Unterkiefer erforderlich, um sämtliche Behandlungsaufgaben zu lösen. Alle schwierigeren Zahnbewegungen waren an das Therapieende verlegt worden; das galt besonders für die Extrusion der Oberkieferfrontzähne.

Abb. 2a bis e Intraorale Ansichten der Patientin bei Behandlungsbeginn: Mesialbiss mit kopfbissartiger Frontzahnstellung, Engstand in der Unterkieferfront und bimaxilläre Protrusion.

Dysgnathie Mesialbiss

2.a

Dysgnathie Kopfbiss

2.b

Dysgnathie Frontzahnstellung

2.c

Dysgnathie Engstand

2.d

Dysgnathie Unterkiefer

2.e

Dysgnathie Röntgenseitenaufnahme Unterkieferfrontzähne

Abb. 3 Orthopantomogramm vor Behandlungsbeginn: Die Zähne 18 und 48 sind angelegt, während die Zähne 28 und 38 fehlen. Parallele Ausrichtung der Wurzeln der Unterkieferfrontzähne.

Dysgnathie bimaxilläre Protrusion

Abb. 4 Ausschnitt aus der Fernröntgenseitenaufnahme vor Behandlungsbeginn: bimaxilläre Protrusion, mesiobasale Kieferrelation.

Behandlungsbeginn der Dysgnathie Therapie

Zu Behandlungsbeginn wurden insgesamt 28 Attachments befestigt. Im Bereich des Zahnes 41 wurde ein Pontic eingefügt, um die Extraktionslücke zu kaschieren. Die 14 Attachments im Oberkiefers waren vestibulär und palatinal fixiert und sollten besonders die Extrusion der Frontzähne gewährleisten6 (Abb. 5a und b). Der Pontic aus Tetric Ceram wurde im Laufe der Behandlung jeweils um das erforderliche Maß beschliffen (Abb. 6a und b). Um den Oberkieferengstand zu beseitigen, war es erforderlich, gleich zu Behandlungsbeginn eine approximale Schmelzreduktion durchzuführen. Sämtliche Aligner wurden alle 2 Wochen gewechselt, die Kontrollen erfolgten in 6-wöchigen Abständen. Schon nach 12 Wochen waren die Frontzähne überstellt, und die Extraktionslücke hatte sich deutlich verkleinert. Mit der 15. Schiene war sie dann fast vollständig geschlossen (Abb. 7a und b). Trotz der Extraktion war eine zusätzliche approximale Schmelzreduktion von je 0,3 mm pro Approximalfläche in der Unterkieferfront und im Prämolarenbereich erforderlich, um die unteren Schneidezähne ausreichend retrudieren zu können.

Multiple Attachments

5.a und b Multiple vestibuläre und palatinale Attachments im Ober- und Unterkiefer, die die komplizierten Zahnbewegungen unterstützen sollten.

vestibuläre Palatinale Attachments

5.b

Extraktionslücke

6.a und b Die Extraktionslücke 41 wurde durch einen mesial an Zahn 42 angesetzten Pontic aus Tetric Ceram kaschiert, der dem Behandlungsverlauf entsprechend reduziert wurde.

Pontic aus Tetric Ceram

6.b

clincheck Unterkiefer

7.a und b ClinCheck-Darstellung (a) im Vergleich mit der intraoralen Situation (b) beim 15. Aligner; die Extraktionslücke ist fast geschlossen.

Dysgnathie Alignertherapie

7.b

Behandlungsabschluss Dysgnathie

8.a und b ClinCheck-Darstellung vom Behandlungsabschluss (a) im Vergleich mit der intraoralen Situation nach 1-jähriger Retentionszeit (b): gut ausgeformter Unterund Oberkiefer, Aufbau der Inzisalkanten im Oberkiefer mittels Tetric Ceram.

Nach 1 jähriger Retensionszeit

8.b

Neutrale Okklusion

9.a und b Intraorale Situation nach 1-jähriger Retentionszeit: stabile neutrale Okklusion sowie normaler vertikaler und horizontaler Schneidezahnüberbiss.

vertikaler und horizontaler Schneidezahnüberbiss

9.b

orthopantomogramm

Abb. 10 Auschnitt aus dem Orthopantomogramm vom Behandlungsende: paralleler Wurzelverlauf in beiden Zahnbögen.

Profil Dysgnathie

Abb. 11 Vergleich des Gesichtsprofils vor und nach der Behandlung: Die zuvor stark betonte Unterlippe tritt nach der Extraktion des Zahnes 41 weniger stark hervor, so dass das gesamte Gesicht eine harmonischere Ausstrahlung hat.

Während sie ihren 20. Aligner trug, unterbrach die Patientin aus persönlichen Gründen ihre Therapie für 4 Wochen. Diese Unterbrechung ist nachträglich als positiv zu bewerten. Grundsätzlich gilt es nämlich als schwierig, nach einer Frontzahnextraktion im Unterkiefer die verbleibenden Zähne parallel auszurichten. Hier gelang dies jedoch fast perfekt, und so stellt sich die Frage: Wie ist das zu erklären? Mit der 20. Korrekturschiene war die Extraktionslücke geschlossen, wobei die Nachbarzähne trotz der vertikalen rechteckigen Attachments in typischer Weise aufeinander zugekippt waren. Somit bestand eine Diskrepanz zwischen virtueller (ClinCheck) und realer Zahnstellung. Während der 4-wöchigen Behandlungspause richteten sich diese gekippten Zähne wieder etwas auf, wobei sich die Extraktionslücke leicht öffnete. In dieser Situation wurde der Aligner gesucht, der am besten saß; dieses war der 16. Aligner. Von ihm aus wurde die Therapie wiederholt, wobei sich nun die Zähne parallel bewegten.

Behandlungsergebnis Dysgnathie Alignertherapie

Nach 14 Monaten wurde die Invisalign-Behandlung abgeschlossen (Abb. 8a und b). Beide Zahnbögen waren ausgeformt, es lag eine stabile neutrale Okklusion vor, und der vertikale sowie der sagittale Überbiss betrugen 2 mm (Abb. 9a und b). Die Schneidezähne im Unterkiefer standen fast parallel, wie das Orthopantomogramm belegt (Abb. 10). Die Betonung der Unterlippe wurde durch die Frontzahnextraktion etwas reduziert (Abb. 11). Die Inzisalkanten der oberen Frontzähne standen nach Extrusion und adhäsivem Aufbau mit Tetric Ceram sehr ästhetisch zur Lachlinie (Abb. 12a und b). Die FRS-Aufnahme nach der Behandlung verdeutlicht eine verringerte mesiobasale Kieferrelation (Abb. 13). Der Kopfbiss und der Kreuzbiss der Zähne 18/48 wurden hauptsächlich dentoalveolär korrigiert.

Extraorale Ansicht

12.a und b Extraorale Ansicht der Patientin nach Abschluss aller Therapiemaßnahmen und 1-jähriger Retention: Die positive Lachlinie mit ästhetischem Schneidekantenverlauf parallel zur Unterlippe. Der fehlende Unterkieferschneidezahn fällt nicht auf.

Schneidekantenverlauf parallel

12.b

Fernröntgenseitenaufnahme

13 Fernröntgenseitenaufnahme vom Ende der Behandlung: Die dentoalveoläre Kompensation des frontalen Kopfbisses ist deutlich erkennbar.

Dysgnathie C

14 Stabilisieren des Behandlungsergebnisses mit einem adhäsiv befestigten palatinalen 3-3-Retainer aus hochgoldhaltigem, mehrfach verseiltem Draht.

Das Behandlungsergebnis wurde mit einem adhäsiv befestigten palatinalen Retainer aus hochgoldhaltigem, mehrfach verseiltem Draht stabilisiert (Abb. 14). Sowohl das kieferorthopädische als auch das restaurative Therapieresultat sind bisher stabil.